Vernissage: 05. Oktober 2024, 19 Uhr
Finissage: 23. November 2024, 14-20 Uhr
Laufzeit: 06. Oktober – 24. November 2024

Grußwort: Heinrich Brötz ( Kulturdezernent der Stadt Aachen)
Begrüßung: Prof. Ilka Helmig (Vorstandsvorsitzende NAK)
Einführung: Maurice Funken (Direktor NAK)

 

For me, textiles are something that lives and breathes; I feel the ineffability of their breath or its flow, a continuous flow that is also that of society at large. It reflects the history of humanity and, at the same time, the social dimension of work.” – Marion Baruch[1]

Der NAK Neuer Aachener Kunstverein freut sich mit Widerstandsgeist eine der ersten institutionellen Einzelausstellungen der Künstlerin Marion Baruch im Rheinland zu präsentieren.

Aus diesem Anlass versammelt der Kunstverein eine Vielzahl herausragender skulpturaler Arbeiten aus dem Oeuvre der Künstlerin, die ausschließlich in der letzten Dekade entstanden sind und sich über die Ausstellungsräume des NAK in einer ortspezifischen Installation verteilen. So zeigt der Neue Aachener Kunstverein im Untergeschoss etwa die großformatigen und raumgreifenden Traiettorie, die eigens von der Künstlerin für die räumlichen Gegebenheiten angepasst wurden. Altersbedingt geht diese jüngste Schaffensperiode einher mit körperlichen Einschränkungen und dem zunehmenden Verlust der Sehfähigkeit der Künstlerin, so dass Baruch 2012 eine Reihe von Arbeiten beginnt, welche Textilabfälle aus der italienischen Prêt-à-porter-Industrie als Material verwenden. Baruch deutet die von der Modewelt als unbrauchbar zur Seite gelegten Stoffe in einem formalistischen Sinn um, einer eigenen intuitiv-künstlerischen Logik und Praxis folgend, gibt ihnen somit eine zweite Bestimmung: „When all is said and done, waste does not exist; when you see a pile of offcuts, what you are seeing is life, and life is not a waste.”[2]

Die Künstlerin nennt die daraus entstehenden Arbeiten Skulpturen: „The Sculptures were born from an encounter between what I found in bags full of leftovers and my memory.[3] So wie diese Werke sich im Raum verhalten und mit Lücken als auch Auslassungen operieren, so füllt Baruch diese inhaltlichen und de facto vorhandenen Leerstellen mit Erinnerungen an Begegnungen der künstlerischen Art, das eigene Werk, die eigene Biographie, geht willentlich und unwillentlich Kollaborationen ein, rekurriert damit auf private, soziale und ökonomische Beziehungen. Das Resultat ist ein komplexes Geflecht, in dem sich die Arbeiten jedoch frei und leicht entfalten können. Die Werke sind „on the very edge of existence and of that emptiness (…) – a dense emptiness, one endowed with its own meaning – (that) builds and shapes another space, one free and light,[4] welchen der/die Betrachter_in mit eigenen Gedanken komplettiert. Im Raum positioniert definieren die Skulpturen somit “a dialogue, albeit between two immaterial forces, such as space and matter.[5] Baruch nimmt mit den Skulpturen An- und Abwesenheit, eine Verschiebung oder gar Auflösung der Perspektive, Transparenz, aber auch Material, Stoff, Oberfläche sowie das Zulassen des Negativraum in ihren geistigen Fokus. Form wird zum Container, auch für Ideen. Ein wahrhaftiger Freiraum für die Künstlerin als auch die Besucher_innen zugleich, einer Einladung gleichend.

Marion Baruchs Skulpturen „are not fixed, nor are they eternal; (…) they often acquire new vigour if a movement of the air or a ray of sunlight tickles them, thus bringing them to life.[6] Dennoch schreibt Baruch ihnen gezielt eine Eigenschaft zu, welche die textilen Werke allesamt auszeichnet und ihnen geradezu innewohnt, sie beseelt. Ein Widerstandsgeist. Der von der stets sehr bedacht mit Sprache umgehenden Künstlerin selbst gewählte Titel der Ausstellungspräsentation beschreibt treffend Baruchs Werke: das Material überdauert demnach die ursprüngliche Bestimmung, nimmt Veränderungen und Umdeutungen willentlich hin, unbeeindruckt im Selbst. Existenz, Widerexistenz, Widerstand.

 

Marion Baruch (*1929 Timişoara, Rumänien) begann 1949 ihr Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Bukarest. Bereits ein Jahr später erhielt sie die Gelegenheit an der Bezalel Akademie für Kunst und Design in Jerusalem u.a. bei Mordecai Ardon zu studieren; 1954 setze sie ihr akademische Ausbildung an der Accademia di Belle Arti in Rom fort. Zudem wandelte sich Baruchs künstlerische Praxis, sie wandte sich von Malerei und Zeichnung ab, arbeitet fortan zumeist in der Gattung Skulptur, wenngleich ihr gesamtes Oeuvre über die Jahrzehnte hinweg stets unerwartete Wendungen nahm, multidisziplinär orientiert und interessiert agierte, etwa als sie ab 1989 einzig unter dem Firmenlabel Name Diffusion künstlerisch weiter produzierte und so kritisch auf den Kunstmarkt reagierte.

Im Jahr 2022 widmete die Galerie der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig Baruch erstmals eine umfassende Einzelausstellung im deutschsprachigen Raum, zuvor gab es bereits Präsentationen der Künstlerin im Ausland, etwa dem MAMCO Genf sowie dem Kunstmuseum Luzern im Jahr 2020. Marion Baruchs Werk erfährt so in den letzten Jahren eine erneute, willkommene Würdigung. Baruch lebt und arbeitet in Gallarate, Italien.

 

Parallel zu Widerstandsgeist zeigen die Kunstmuseen Krefeld im Haus Lange die retrospektive Ausstellung Soziales Gewebe mit Arbeiten von Marion Baruch aus allen Jahrzehnten ihres Schaffens. Die Ausstellung in Krefeld eröffnet am 06. Oktober 2024. Weitere Information dazu finden Sie hier: Marion Baruch – Soziales Gewebe.

Mit freundlicher Unterstützung durch:

 


 

 

[1] Rita Selvaggio, „Marion Baruch”, in: Flash Art 336, 2017.

[2] Emma Zanella, Allesandro Castiglioni, „Life Is Not a Waste”, in: Fanni Fetzer, Noah Stolz [Hg.], Marion Baruch. Luzern, Mailand 2020, S. 210.

[3] Noah Stolz, „Tzimtzum. Marion Baruch in conversation with Noah Stolz”, in: Illaria Bombelli, Nicola Trezzi [Hg.], Tzimtzum. Mailand 2023, S. 65.

[4] Maura Pozzati, „The other source”, in: Stampa L’Artiere [Hg.], The other source. Bologna 2024, S. 13.

[5] Maura Pozzati, „The other source”, in: Stampa L’Artiere [Hg.], The other source. Bologna 2024, S. 10.

[6] Noah Stolz, „The most beautiful is the object which does not exist”, in: Stampa L’Artiere [Hg.], The other source. Bologna 2024, S. 52.

 

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