Some Trees
KURATIERT VON PAUL ANDRIESSE
ERÖFFNUNG:
Samstag 15 Januar 2005
20 Uhr
GEÖFFNET:
16 Januar
27 März 2005
Unter dem lapidar klingenden Titel “Some Trees” versammelt die Ausstellung einen breiten, anregenden Strauß künstlerischer Arbeiten. Wir verdanken sie dem Amsterdamer Galeristen Paul Andriesse, dessen persönliches Wirken ich Ihnen eingangs kurz vorstellen möchte. Es lässt sich nämlich an Konzeption und Präsentation der Ausstellung ablesen, dass Andriesse nicht nur Galerist ist, sondern auch Kunsthistoriker, Fotograf und forschender Sammler oder sammelnder Forscher. Der Kunsthistoriker Andriesse lässt die Schau bereits mit dem Pionier der Moderne Gustave Courbet beginnen, wenn auch nur mittels eines Fotos; der Galerist guckt über den Tellerrand der von ihm vertretenen Künstler und bezieht noch weitere mit ein; der Fotograf und somit Bildermacher hat erst auf unser Drängen hin einige seiner bemerkenwerten Fotografien in die Ausstellung integriert, und der Sammler und Kulturmensch weitet seinen gedankenvollen Blick in Randgebiete aus: Eines der anrührendsten Zeugnisse in der Ausstellung stellt ein Fotobuch von Roy Villevoye dar, in welchem dessen therapeutisches Experiment mit Kranken einer am Waldrand liegenden psychiatrischen Klinik dokumentiert wird. Die Patienten wurden dazu ermuntert, persönliche Zeichen in die Baumrinde zu kerben, und einer schnitzte in den Stamm gar das Bild eines vollständigen Baumes. Versäumen Sie…..
Als verantwortungsbewusster Zeitgenosse und als ein Mensch, der dem Phänomen Baum ausdauernd auf der Spur ist, sei noch erwähnt, dass sich Paul Andriesse auch als Botschafter der Stiftung “Art for Tropical Forests” engagiert.
Die Schau hat natürlich allein vom Thema her im NAK einen besonders sinnfälligen Ort der Präsentation gefunden: Mitten in Park gelegen, in welchem es lebende Bäume in erstaunlicher Vielfalt gibt, finden Sie hier im Innenraum viele Facetten künstlerischer Darstellungen und Interpretationen des Motivs Baum.
Innerhalb der Tätigkeiten von Paul Andriesse ist das Thema Baum im Laufe der letzten Jahre angewachsen, etwa so, wie ein Baum selbst wächst: es hat sich ohne erkennbare Systematik ausgebreitet, verzweigt und verästelt, Wurzeln geschlagen und Ableger bekommen. Mehrmals hat eine Buchpublikation eine Ausstellung ausgelöst und diese wiederum die Basis für ein Buch geliefert. Als Wilhelm Schürmann die jüngste bibliophile Kostbarkeit von Andriesse zugeschickt bekam, entstand die Idee zu dieser Ausstellung. Und sie ist, wie Sie leicht entdecken können, ihrerseits nicht identisch mit dem Inhalt der letzten Veröffentlichung. Denn ein Baum wächst, ist er doch eine zentrale Metapher in den unterschiedlichsten Sinnzusammenhängen: Grundsätzlich steht der Baum als zentrales Symbol für die gesamte Natur und als dialektisches Gegenüber und Gegenbild zum Menschen. In sämtlichen Religionen hat er symbolische Bedeutung. Sehen wir doch auf einem Foto den jugendlichen Anselm Kiefer liegend, in den Händes einen zarten Baum, der als Wurzel Jesse, also als Stammbaum Jesu, aus seinem Leib herauszuwachsen scheint.
Wir stehen in der Ausstellung kolossalen, uralten Baumstämmen gegenüber, etwa in Fotos von Tacita Dean und Daan van Golden, jeweils mit ganz individueller Aussage. Tacita Dean fand in Madagaskar die legendären Baobabs, verknorpelte, beseelte Monster, die für Mensch und Tier als Behausung herhalten. Der Bildhauer van Golden hat seine kleine, zierliche Tochter neben dem Riesen eingefangen, was nicht nur die Mächtigkeit der Natur ins Verhältnis zur Winzigkeit des Menschen setzt, sondern auch- wie bei anderen Ausstellungsstücken- den unterschiedlichen Zeitbegriff im Leben von Natur und Mensch anspricht. – Der Wald stellt seit langem einen ökologischen Problemfall von globalen Ausmaßen dar, eine Nuance, die etwa in den Fotos von Joachim Koester anklingt. Bei ihm verbirgt sich allerdings- sehr zeittypisch- hinter den ruinösen Zeugnissen noch die abenteuerliche Recherche nach der Burg von Dracula, auf den Spuren der Novelle von Bram Stoker.
Der Baum wird in seiner senkrechten Haltung per se dem aufrecht stehenden Menschen verglichen; meist ist er Inbegriff des Mannes- eine Gleichsetzung, die Andriesse allein an einigen Arbeiten widerlegt sieht, in welchen der Baum als Schoß oder Tunnel, als umschließende Hülle oder Zuflucht interpretiert wird. Die lebensvollen, ausladenden Baumkronen in den Gemälden von Erik Andriesse vor monochromem Farbraum sind geradezu von weiblich üppiger Schönheit. – Wirkt die Struktur eines Baumes zunächts ungeordnet, wenn nicht chaotisch, so unterliegt sein Wachstum doch einer inneren Gesetzmäßigkeit, durch welche, dem menschlichen Organismus vergleichbar, sämtliche Funktionen aufeinander abgestimmt sind. Nicht von ungefähr wird er mit Struktur und Funktion des Gehirns verglichen oder auch mit dem sich in feinste Kapillare hin verästelnden Gefäßsystem. Angesichts der zarten Zeichnungen von Roxy Paine behauptete Andriesses Sohn einmal, das seien doch keine Bäume, denn es fehle ihnen doch der Stamm. Blicken wir uns in der Ausstellung um, so sind die Bäume tatsächlich vielfach vom Rand überschnitten, d.h. “amputiert” bzw. Torsi. Daher ergänzen sich der gewaltige Stamm bei Daan van Golden und die blühende Krone von Erik Andriesse auf belustigende wie sinnfällige Weise.- Nicht zuletzt orientieren sich Architektur und Technik immer wieder an den Strukturen der Natur. Daher mündet die Schau entwicklungsgeschichtlich gewisseremaßen in dem aus 20 Einzelfotos geschichteten, digitalisierten Foto von Meindert Koelink, das in seiner Künstlichkeit an ein Hologramm oder 3D-Bild denken lässt.- Und, um dem Phänomen Baum seine Eigenstandigkeit zurückzugeben: unbeeinflusst von Religion, Kultur und Naturwissenschaft vollbringt der Baum ganz einfach die direkteste Verbindung zwischen Himmel und Erde.
Sie finden die Ausstellung gänzlich unhierarchisch aufgebaut, sie ist weder nach kunsthistorischen, chronologischen oder thematischen Gesichtspunkten noch nach künstlerischen Techniken gegliedert, sondern soll möglichst abwechslungs- und spannungsreich sein und Fragen stellen und vielleicht beantworten. Sie versammelt Positionen mehrerer Generationen und solche von etablierten Künstlern mit solchen von unbekannteren. Dabei werden Sie feststellen können, dass Künstler insbesondere in den 70er Jahren die Thematik anpacken und dass das Thema dann in jüngster Zeit wieder zunehmend in den Blick genommen wird. Und so haben Albert Renger-Patzsch und – mit unübersehbaren Brüchen als Ausdruck kritischer Blickrichtung- auch Robert Adams eine Qualität präziser Dokumentarfotografie entwickelt, die sich später dann in etwa bei Fotos des englischen Bildhauers und gefragten Künstlerfotografen John Riddy wiederfindet. Wie Adams” Arbeiten haben auch die Zeichnungen und Skulpturen des Arte Povera-Künstlers Giuseppe Penone letztlich eine politische Aussage, ohne didaktisch zu sein. Anhand der Teilnahme von Penone und Curdin Tones lässt sich die bereits angesprochene generationsbedingte Veränderung im Umgang mit Natur ablesen. Wenn man bei Penone von einer im Mythischen angesiedelten Vorstellung symbiotischer Beseeltheit von Mensch und Natur sprechen kann, so zeigt der in Amsterdam lebende junge Bildhauer Curdin Tones die konträren kreativen Tätigkeiten von Natur und Mensch. Als kaum sichtbare, ironische Gesten kommen die stilistischen, wenn nicht gar modischen Eingriffe eines Holzbearbeiters daher.
Zum Schluss seien noch zwei Highlights herausgestellt: Wir können uns nämlich glücklich preisen, Arbeiten von Erik Andriesse und von René Daniels zeigen zu dürfen. Das Wirken beider Künstler hat leider abrupt ein Ende gefunden, hervorgerufen im einen Falle durch Tod, im anderen durch Krankheit. Aber das Geschaffene gibt Zeugnis von zwei außergewöhnlichen Künstlerpersönlichkeiten. Erik Andriesse hat mit seinen Zeichnungen, Aquarellen und Gemälden mit Verve und großem Feingefühl eine gegenständliche Malerei der Naturdarstellung entwickelt, die realistisch und zugleich traumverloren, visionär ist. Und er hat diese in den 80er Jahren vehement gegen die dominierende Neo-Geo-Bewegung verteidigt.
Die Bilder von René Daniels fallen zunächst dadurch auf, dass er mit wandlungsfähigen Metaphern wie Mikrophon und Platte, Bild und Buch spielt, um möglichst eindrücklich immer auch seine kritische Distanz zu Kunst und Kulturbetrieb mit einbauen zu können. In “DDT2″, abgebildet auf der Einladung, überlagern sich Baum und architektonische Raumkulisse zu einer für seine Bilder typischen mehrperspektivischen Ansicht. Auch die letzte Serie der “Spring Blossom” ist einerseits in der Ansicht als Baumkrone wie andererseits von oben betrachtet als Stadtplan zu lesen. An den Zweigen oder Gestängen kleben anstelle von Blumen geschriebene Titel, Statements und literarische Texte.- Und wer von Ihnen sich nicht der Mühe entzieht, wird bei Daniels wie auch bei anderen Künstlern manch hintergründige und erheiternde Bezüge zu den Schwesterkünsten Literatur und Musik ausfindig machen können. In dem Sinne wünsche ich Ihnen für Ihre eigene Entdeckungsreise viel Vergnügen.