UNBEHAGEN
Anton van Dalen, Joy Episalla, Vincent Gagliostro, Zoe Leonard, John Lindell, ... Mac Alpin, ... McGovern, Richard Mock, Carrie Moyer, Sue Schaffner, Susan Silas, Teri Slotkin, David Wojnarowicz, Carrie Yamaoka
ERÖFFNUNG:
Samstag 29 Mai 1999
20 Uhr
GEÖFFNET:
30 Mai
11 Juli 1999
Zusammengestellt von den Sammlern und Soziologen Gisela Theising und Lutz Hieber
Vorträge und Diskussionen mit Carrie Moyer, Sapphire, Gisela Theising und Lutz Hieber, Rupert Goldsworthy, Anke Kempkes und Juliane Rebentisch, Frank Wagner und Anton van Dalens The Avenue A Cut Out Theater
“Unbehagen der Geschlechter/Gender Trouble” ist ein Projekt, das die Bedeutung von politischem Engagement in der New Yorker Kunst des vergangenen Jahrzehnts thematisieren will. Nach wie vor, so die These der Ausstellung, gibt es den Impuls für eine gesellschaftlich engagierte Funktion von Kunst und gerade in der New Yorker Szene läßt sich dieser Aktivismus durch die Bildung von vielen Künstlergruppen seit der Mitte der achtziger Jahre belegen. Statt den bürgerlichen Alltag mit Dekoration zu versehen, plädieren diese Künstlerinnen und Künstler für eine Kunst, die unsere gesellschaftliche Realität, ihre Defizite und beunruhigenden Strukturen angemessen interpretiert.
Diese Wiederbelebung einer engagierten Kunst machte sich in der Kunstmetropole New York deutlich bemerkbar. Von den europäischen Kunstinstitutionen wurde sie allerdings viel zu wenig beachtet. Wenn sie überhaupt im Rahmen von Ausstellungen gezeigt wurde, lag die Betonung eher auf formaler Ästhetik denn auf den engagierten Inhalten. Das ist um so erstaunlicher, als sich viele der Künstlerinnen und Künstler gegen Ende der Amtszeit Reagans intensiv mit den Folgen der konservativen Wende auseinandersetzen. Ihre Themen umspannen einen weiten Bogen. Sie reichen von gewerkschaftlichen Forderungen, einer massiven Kritik des Immobilienmarkts und der Drogenpolitik, über eine Reflexion des Holocaust bis hin zum Protest gegen die Diskriminierung von Frauen und Farbigen durch die Kunstinstitutionen. In der Ausstellung dokumentieren die Arbeiten von Anton van Dalen, Richard Mock und Susan Silas, daß sich dieses Engagement bis in die heutige Zeit erhalten hat. Zugleich repräsentieren sie jenes Umfeld, in dem künstlerischen Aktivitäten grundlegend waren für die Bildung von aktivistischen Gruppen wie die Guerilla Girls, Gran Fury, Gang, Fierce Pussy, DAM (Dyke Action Machine) oder WAC (Women’s Action Coalition).
Diese Gruppen produzierten Plakate, Flyer, Bus-Displays etc., um einen öffentlichkeitswirksamen visuellen Ausdruck ihres allgemeinen Unbehagens zu geben, und sie spitzen ihre Strategien zugleich auf eine grundlegende Kritik bürgerlicher Geschlechtsrollenklischees und homophober Vorurteile zu. Waren anfänglich die Guerilla Girls ein wichtiger Auslöser, so wurde seit 1988 vor allem die Gruppe Gran Fury stilbildend. Ihr Einfluss lässt sich nicht nur an politischen Erfolgen, z.B. jener veränderten Sozialpolitik seit dem Wahlsieg Clintons 1992, ablesen, sondern auch am weitreichenden Interesse in der Kunstszene, das sich in vielen Artikeln führender Kunstzeitschriften und ebenso in der aktiven Unterstützung durch die Kunstwelt äußerte.
Neben ihrem Gruppenengagement blieben die Künstlerinnen und Künstler gleichzeitig als Einzelkünstler tätig. Ihre individuellen Arbeiten sind durch eine intensive Auseinandersetzung mit den psychischen Folgen bürgerlicher Tabus geprägt. Ein tiefes Unbehagen der Geschlechter, einhergehend mit einer fundamentalen Kritik an den eindeutigen Festschreibungen von Frauen- und Männerrollen, wird facettenreich artikuliert wie auch grenzüberschreitende Wünsche und Ideen einen persönlichen Ausdruck erhalten. Teri Slotkins Werk besteht aus einer erweiterten Dokumentation von Paaren, deren unterschiedliches Erscheinungsbild in der Lebenswirklichkeit nur selten bewusst wahrgenommen wird (zum Beispiel Chefin und Sekretärin, Vater und Tochter, lesbische Mütter).
Sue Schaffner lotet in ihren Photographien die Verhaltensbandbreiten von Männern und Frauen aus. Carrie Yamaoka setzt sich mit der Zensur der erotischen Literatur in den USA auseinander. Zoe Leonard und Joy Episalla befassen sich mit Ausdrucksformen sexuellen Begehrens und mit der sinnlichen Erfahrung von Körperlichkeit. John Lindell kritisiert die häufig zu beobachtende Angleichung homosexueller Lebensformen an die repressive Sexualmoral, sein Gegenentwurf zeigt – auf der Ebene abstrakter Kunst- Möglichkeiten für die Durchsetzung vielfältiger sexueller Lebensformen. David Woinarowicz formuliert flammende Proteste gegen unterschiedliche Formen der Homosexuellenfeindlichkeit im Aids-Zeitalter. Die Acrylbilder von Carrie Moyer sind provozierende Stellungnahmen zur lesbischen Sexualität und Reflexionen zu ödipalen Konflikten in der Kleinfamilie. Vincent Gagliostro verbindet in einer Installation, bestehend aus abstrakten Zeichnungen und einem Video, die persönliche Besinnungs- und Trauerarbeit auf der einen mit der Äußerung politischer Unzufriedenheit im Aids-Zeitalter auf der anderen Seite. Politisches Engagement und persönlicher Ausdruck bestimmen also gleichberechtigt die Kunst der New York Avantgarde, die in der Ausstellung “Unbehagen der Geschlechter” vorgestellt wird. Sie gibt einen Einblick in die Zusammenhänge beider Aspekte, in dem sie die Präsentation vieler Einzelarbeiten durch aktivistische Dokumente und eine Auswahl von Gruppenarbeiten ergänzt.
Text: Gisela Theising und Lutz Hieber